Was für ein Blutbad! Die Infragestellung der Kreditwürdigkeit der USA durch Ratingagentur S&P hat Folgen: Am Montag wackelten die Weltbörsen. Der DAX verlor fünf Prozent. Der Dow Jones büßte 634 Punkte oder 5,5 Prozent ein und schloss bei 10.809. Es war der reinste Horror! Ein Debakel. Um es besser zu veranschaulichen: Ein amerikanischer Aktienmillionär hat an diesem Tag genau 55.000 Dollar verloren. Das ist so viel, wie eine durchschnittliche Familie jährlich nach Hause bringt.
Als besonnener Anleger würde ich in einem solchen Umfeld natürlich nicht meine Aktien abstoßen. Der wäre der reinste Wahnsinn. Gewiss kann die Börse weiter im Sinkflug bleiben. Die Wahrscheinlichkeit ist groß. Und hätte ich rein theoretisch heute verkauft, hätte ich mir die Verluste vom Rest der Woche erspart. Es ist jedoch eine Milchmädchenrechnung. Ich blicke auf die Börse nicht auf Sicht von Tagen, Wochen oder Monaten, sondern von Jahren. Eher habe ich Jahrzehnte Zeit. Was juckt mich also dieser eine Tag?
Bis zum Jahr 2050 kann die Weltbevölkerung um 40 Prozent wachsen. Die neuen Erdenbürger wollen dann alle einen Mikrowellenherd, ein Auto und einen PC. Also denken Sie langfristig. Sie verkaufen ja auch nicht Ihr Haus, nur weil der lokale Immobilienmarkt gerade korrigiert. Die Leute finanzieren auf Sicht von 30 Jahren ihr Haus. Kein Mensch sorgt sich bei solchen langfristigen Hypotheken-Verträgen. Nur bei den Aktien ist die Angst komischerweise immer so extrem.
Die Abstufung durch S&P hat nun die Panik ausgelöst. Die Agentur hatte die „Ohrfeige“ in Richtung USA mit dem politischen Kampf in der Hauptstadt begründet. Die erste Abstufung in mehr als 100 Jahren! Fitch und Moodys, die beiden anderen großen Agenturen, bleiben bei ihrer Top-Bewertung mit „AAA“ für die Weltmacht. Ist wohl besser so. Sonst könnten weitere Schocks drohen.
Barack Obama ist verbittert. Er ist verärgert über den Schritt von S&P. In Washington wird schon der Ruf laut, den S&P-Mutterkonzern McGraw-Hill zu untersuchen. Am liebsten würden die Demokraten wohl diesen traditionsreichen Medienkonzern aus New York auseinandernehmen. Gewiss hat S&P wie die anderen Agenturen in den vergangenen Jahren folgenschwere Fehler begangen. Sie sahen die Immobilienblase nicht kommen und verpennten viele andere Krisen. Ein Rachefeldzug hilft jetzt auch nicht weiter.
Auf diesem Link ist der offizielle Bericht von S&P mit der Begründung für die Abstufung der USA abrufbar. Brisant: In dem ursprünglichen Bericht befand sich ein Fehler. In einer Vorabfassung hatte das Weiße Haus Gelegenheit, einen Blick in das Werk zu werfen. So konnte S&P eine fehlerhafte Zahlen-Passage in dem Bericht nach einer Intervention des Finanzministeriums einfach entfernen. Ein solches Ringen hinter den Kulissen ist üblich. Trotzdem blieben die New Yorker Bonitätswächter bei ihrem schlechten Rating. Sie ließen sich nicht einschüchtern. Ob der Schritt nun gerechtfertigt ist oder nicht, darüber kann man trefflich streiten. Jedenfalls haben wir jetzt den Salat.
Ich glaube, dass gar nicht mal so viele Privatanleger ihre Aktien auf den Markt geworfen haben. Es waren wohl eher die Profianleger. Die Masse der Menschen kommt erst am Schluss auf die Idee, auszusteigen. Erst dann, wenn die Profis wieder mit dem Einsammeln beginnen. Vor allem die Hegefonds suchen derzeit das Weite. Die Milliardäre, die diese Hedgefonds steuern, wissen ja aus den Pflichtmitteilungen voneinander, wer welche Positionen hält. Insofern versucht jeder, vor dem anderen so schnell wie möglich aus den Aktien zu flüchten. Ich glaube, das war der Grund, warum die Finanzhäuser brutal abgestürzt sind. Die Hedgefonds lieben sie wegen ihrer geringen Bewertung. Und jetzt haben die Hegefonds-Gurus Geldabflüsse zu beklagen, weil Ihre Anleger liquidieren. Zudem kann der ein oder andere auf Kredit spekuliert haben. Insofern ist es ein heißer Tanz. Es ist verrückt, wie Werte wie die Bank of America, die größte US-Bank, geschlachtet worden sind am Montag. Der Kurs verlor ein Fünftel und notiert jetzt bei lausigen 6,51 Dollar. Hedgefondsmanager David Tepper warf beispielsweise sein komplettes Aktienpaket an der Wackel-Bank auf den Markt.
Was rate ich nun Value-Jägern? Es gibt viele gute Chancen. Vielleicht würde ich diese Woche anfangen, über das Einsammeln nachzudenken. Eine interessante Schnäppchenliste für Deutschland hat der geschätzte Kollege Ulrich Hanke erstellt. Überstürzen brauchen Sie nichts. Noch ist Zeit! Die Nerven liegen blank. Und all die Börsen-Charts zeigen nicht den Ansatz, einen Boden gefunden zu haben. Wenn Sie Aktien besitzen und das Geld nicht brauchen, würde ich jetzt sicherlich nicht mehr verkaufen. Der Markt wird sich wieder erholen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Frage ist nur – wann. Neben Deutschland und Nordamerika würde ich zusätzlich in die Schwellenländer blicken. Womöglich nach Indien, in die Türkei oder Lateinamerika. Gut möglich, dass Sie dort wunderschöne Value-Papiere entdecken. Vielleicht einen Holzkonzern oder Anbieter von Toilettenpapier und Windeln. Ich mache keine Witze. Das meine ich ernst. Ich wünsche Ihnen gute Geschäfte.
Sehenswert ist mal wieder der brandaktuelle Kommentar von Börsenprofessor Max Otte. Entdeckt habe ich das Video im Blog meines Kollegen Martin Blümel. Der „Blümel-Staunt-Blog“ ist eine wahre Fundgrube für Börsianer.
Panik: Die Flucht aus Aktien hat begonnen
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18. November 2024
Lieber Tim,
mein Lob für Deine interessanten Kommentare – vor allem, weil sie in diesen Tagen Mut geben!
Weshalb ich das schreibe? Weil die vergangenen zwei Wochen die eigene Strategie emotional ganz schön auf die Probe stellen. Ich suche und greife zu nach Value-Kriterien, wobei ich nur kontinuierliche Dividendenzahler auswähle. Dabei setze ich auf stetige Dividendensteigerungen als zentrales Auswahlkriterium. Ich hoffe, dass die Kombination aus Dividendensteigerungen bei gleichzeitiger Reinvestition der Dividenden sowie regelmäßigen Bar-Zuschüssen ins Depot, die bei Gelegenheit ebenfalls investiert werden, über die Jahre und Jahrzehnte zu einem Nebeneinkommen, später zu einer soliden, ergänzenden Altersvorsorge anwächst.
Auch deshalb scheint mir Buy and Hold für eine auf Jahrzehnte angelegte Strategie das Sinnvollste. Was soll das verschreckte Verkaufen, wenn es mir eh nicht um die kurz- und mittelfristigen Kursbewegungen geht?
Nun bin ich aber noch nicht lange dabei – bin einige Monate nach dem letzten großen Crash ins Thema eingestiegen, habe nach einiger Lektüre (nach anfänglichem, sprunghaftem Hin und Her im Depot) zu den hier genannten Kriterien gefunden und dann einige Positionen aufgebaut. Noch nicht genug Zeit also, sich ein dickes Fell zuzulegen. Und so wuchs das Zittern, als die Kurse die letzten zwei Wochen abschmierten. Der Kopf sagt: Halten, das Gefühl sagt: Verkauf den Mist solange die Verluste noch nicht zu arg sind. Habe auf den Kopf gehört und hab, als ich kurz vor einem Panikverkauf der Verlustpositionen stand, erstmal den Rechner ausgemacht und bin ins Freibad gegangen.
Vergangenen Freitag habe ich angesichts der fundamentalen Daten dann sogar bei der total runtergeprügelten Münchener Rück etwas nachgekauft (vielleicht zu früh, wird man sehen…).
Verkauft habe ich bis heute nichts.
Aber: Leichter gesagt als getan, das Ganze! Da tut es gut, auch in Absturzphasen Bestätigung in Deinem Blog zu finden.
Beste Grüße aus Berlin
Henner
Das freut mich Henner. Danke für das Lob. Ja, das Investieren ist ein langwieriger Prozess. Man erlebt gute und schlechte Phasen. Die Kunst besteht darin, am Ball zu bleiben. Je jünger Sie sind, desto besser. Disziplin zu haben über mehrere Jahrzehnte ist das eigentliche Erfolgsgeheimnis. Das Hin- und Herspringen bringt nichts und kostet nur unnötig Geld. Der Zinseszinseffekt kann nur dann zum Tragen kommen, wenn Sie stetig investiert bleiben. Beste Grüße und viel Erfolg weiterhin