Verdammt! Verdammt! Da lag ich böse daneben. Die Bilanz der Werbefirma China MediaExpress sah exzellent aus. Gigantische Cashbestände, keine Schulden, explodierende Umsätze und Gewinne. Eine geringe Börsenbewertung. Was wollte ich mehr? Jedenfalls sah die Aktie exzellent aus und ich riet, zuzugreifen. Jetzt weiß ich mehr: Es war zu schön, um wahr zu sein. Hinterher sind wir natürlich alle schlauer.
Reihenweise wurden Banken, Analysten, Wirtschaftsprüfer, Profianleger und Hobbybörsianer übers Ohr gehauen. Lug und Betrug häufen sich im Reich der Mitte. Nahezu wöchentlich stellt die New York Stock Exchange und die Nasdaq den Handel mit chinesischen Aktien ein. Es besteht jedes Mal der Verdacht des Betrugs. Ich bin natürlich nicht der einzige, der reingelegt worden ist. Ich muss zugeben, dass ich selbst die China MediaExpress-Aktie nie besaß. Es ärgert mich aber natürlich trotzdem ohne Ende, dass ich so leichtgläubig war. Aber was soll man als Börsenfan auch machen? Den Bilanzen muss ich doch glauben. Den Kriminellen ist auch die Beteiligungsgesellschaft Starr International auf den Leim gegangen, sie kaufte für über 43 Millionen Dollar Anteilsscheine von China MediaExpress. Starr wird immerhin von Hank Greenberg, dem früheren Chef des Versicherungsgiganten AIG gesteuert. Starr hatte sogar einen eigenen Vertreter im Aufsichtsrat. Starr hat sich nun Anwälte genommen und verklagt die chinesische Werbefirma und ihre Prüfungsgesellschaft Deloitte auf Schadenersatz. Viel Geld verloren haben bei China MediaExpress zudem die Investmentfonds beziehungsweise Investoren Vanguard, Goldman Sachs, Shaw D.E., Riverside Advisors, Artis Capital Management, Calpers (einer der größten Pensionsfonds der Welt mit Sitz in Kalifornien), Credit Suisse, Capital Guardian Trust und viele mehr.
Goldman Sachs wurde übrigens in etlichen Fällen übers Ohr gehauen. So deckte sich die Investmentbank bei ShengdaTech, einer „Nanotech“-Chemiefirma aus Shanghai, im großen Stil ein. Rund sieben Prozent des Grundkapitals erwarb Goldman an der Nasdaq-Firma. Als KPMG es ablehnte, die 2010er Bilanz zu unterschreiben, stürzte alles wie ein Kartenhaus zusammen. KPMG zweifelte an den Angaben des Vorstands – etwa am Cashbestand.
Ein anderes Beispiel ist Longtop. Hier wieder das gleiche Schema. Im großen Stil waren nur dieses Mal Goldman Sachs und die Deutsche Bank von Anbeginn involviert. Beide Geldhäuser führten jedenfalls die Softwarefirma 2007 auf das Parkett. Der Börsengang war ein Erfolg. Morgan Stanley brachte 2009 eine Kapitalerhöhung über die Bühne. Keiner ahnte wohl etwas. Jedenfalls fällt der Nachweis schwer. Aus dem Umfeld des Tiger Funds, die dem Milliardär Julian Robertson zuzurechnen ist, waren reiche Investoren beteiligt. Schauen Sie, wer alles zu dem illustren Aktionärskreis zählt: Schroder, Fidelity, Putnam, RCM, JP Morgan, Allianz Fds-RC Technology Fund, ING etc. Dann kamen Gerüchte auf. Die Kapitalflussrechnung und der Kassenbestand sind manipuliert, munkelten Kreise. Im April zogen sich die Prüfer komplett zurück. Jetzt gab Deloitte die Gründe für den Rückzug offiziell bekannt. Statt des angeblich so hohen Kassenbestands ist die Bilanz offenbar mit hohen Krediten belastet. Falsche Bankangaben, aufgeblasene Umsätze. Der Börsenwert erreichte in der Spitze im November abenteuerliche 2,4 Milliarden Dollar. Jetzt ist die Bude vom Handel ausgesetzt. Der Kurs ist wohl kaum noch etwas wert. Oder nehmen Sie China Integrated Energy. Das Unternehmen bezeichnete sich als führender Biodiesel-Hersteller. Es sammelte im Dezember 24 Millionen Dollar ein. KMPG prüfte die Bilanzen und bescheinigte, alles habe seine Richtigkeit. Ein paar Monate später warf KPMG das Handtuch.
Wenn die US-Börsen den Handel mit solchen Aktien einstellen, ist der Anleger der Dumme. Sie sitzen praktisch auf unverkäuflichen Aktienbeständen. Oft versuchen die betroffenen Firmen, den Handel wieder aufnehmen zu lassen. Wenn dies bei Nasdaq oder New York Stock Exchange nicht mehr gelingt, dann gehen sie den Umweg über ein Listing im Grauen Markt. Seitdem die Aktie von China MediaExpress wieder notiert, ist der Kurs um mehr als 80 Prozent abgeschmiert. Sehen Sie selbst: Der gerade Strich im Chart zwischen März und Mai zeigt Ihnen die Aussetzung vom Nasdaq-Handel. Jetzt wird das Papierchen wieder im OTC-Markt gehandelt. Ein brutaler Absturz war die Folge. Wenn die Bilanz stimmen würde, ist die Firma an der Börse weniger wert, als Geld in der Kasse liegt, was natürlich absurd ist.
Wie haben die Manager die Bilanzen gefälscht? Ein Trick war wohl mit einer lokalen Bankfiliale einen Deal zu machen. Vermutlich bestachen die Chinesen einen hohen Mitarbeiter der Hausbank. Vermutlich genügte jemand in der Filiale am Stammsitz des Unternehmens. Dieser fälschte also Dokumente beziehungsweise bescheinigte Finanzmittel, die gar nicht auf den Firmenkonten vorhanden waren. Die Wirtschaftsprüfer schöpften bis zuletzt keinen Verdacht. Ein Trost für mich ist, dass wirklich große Namen der Finanzindustrie auf die Betrüger hereingefallen sind. Ich bin nicht der einzige. Das zeigt mal wieder eindrucksvoll: Alle kochen nur mit Wasser. Die betroffenen Fondsmanager sollten ihre Millionengehälter auf der Stelle zurückgeben.
Im Reich der Mitte: Bilanzbetrug am laufenden Band
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Ich sehe den ganzen Hype, der seit Jahren um China gemacht wird, schon grundsätzlich sehr kritisch. China ist ein Land, in dem offensichtliche Menschenrechtsverletzungen tagtäglich auf der Agenda stehen, weil sie staatlicherseits gewollt sind! Die Menschenrechtsverletzungen werden von Regierungsseite organisiert und durch eine repressive Gesetzgebung zementiert. Kritische Töne werden in China gnaden- und mitleidslos ausgelöscht. Tausende politische Oppositionelle, Mitglieder religiöser und ethnischer Gruppierungen, Menschenrechtsaktivisten werden in Gefängnissen eingesperrt, weil sie eine mit der staatlichen Politik nicht konforme Wertesicht haben. Hundert Tausende werden in Arbeitslagern gefangen gehalten ohne dass man ihnen einen formalen Vorwurf gemacht hat. Jedes Jahr sterben viele in Folge der praktizierten Folter. Die Todesstrafe dient dem Staat zur Abschreckung. Die Zahl der Todesstrafen in China überschreitet die Anzahl der Todesstrafen weltweit! Die Geburtenkontrolle, die sogenannte chinesische Ein-Kind-Politik, wird ebenfalls zu menschenverachtenden Praktiken missbraucht. Minderheiten, die in China leben werden landesweit unterdrückt.
So schrieb es mir meine Cousine vor einigen Wochen, als ich ihr schilderte, dass ich es „wagte“ einige (deutsche) Sinologie-Studenten nach der Menschenrechtssituation in China zu befragen.
Ich habe großen Respekt vor allen passiv und aktiv tätigen Menschenrechtsaktivisten und finde, dass die Arbeit von Human Rights Watch und Amnesty International nicht hoch genug geschätzt werden kann.
Von einem wirtschaftlichen China-Boom zu profitieren, heißt immer auch, die oben genannten Geschehnisse zu tolerieren! Dieser Meinung bin ich. Auf einem anderen Blatt steht, was man von der Ferne, sei es in New York City oder hier in Deutschland für eine Verbesserung der Situation tun kann. Ich denke, die Antwort hierzu muss jeder selbst finden. Gott sei Dank leben wir im liberalen Westen, in dem die Menschen staatlich gesicherte Freiheitsrechte genießen. Moralisch-zivilisatorisch können wir von dem chinesischen Staat, so viel ist sicher, nichts lernen. Verlinkungen zu entsprechenden Artikeln erspare ich mir an dieser Stelle.
Beste Grüße!
Matthäus
Als Nachtrag möchte ich noch folgende Gedanken formulieren:
Ich lasse den Einwand, als Deutscher bzw. der deutsche Staat sollte sich mit einer möglichen China-Kritik wegen der eigenen unrühmlichen Geschichte zurückhalten, nicht gelten, denn erstens bin ich der Ansicht, dass man die Vergangenheit irgendwann ruhen lassen sollte und zweitens werden in Deutschland seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mittlerweile sogar die Menschenrechte von Scherstverbrechern geschützt: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,739257,00.html
Wie sich Deutschland doch gewandelt hat! Bei aller berechtigten oder unberechtigten Kritik an der Bundesregierung hinsichtlich des Krisenmanagements im Zuge der Finanzkrise und der aktuellen €-Krise. Das unsere Bundeskanzlerin die chinesische Regierung regelmäßig an die Menschenrechtsproblematik erinnert, finde ich lobenswert: http://www.focus.de/politik/ausland/menschenrechte_aid_130799.html
Sehr interessant finde ich auch die Pressekonferenz mit US-Präsident Barack Obama und dem chinesischen Staatslenker Wen Jiabao: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,740500,00.html
oh Entschuldigung, welch Fauxpas! Wen Jiabao ist der aktuelle Ministerpräsident, Hu Jintao hat als Staatspräsident die USA besucht.
Hallo Tim,
womit wir auch wieder beim alten Thema des hohen Aktien-Einzelinvestmentrisikos von börsenotierten Unternehmen sind ->
Bilanzbetrug ist dabei nur eine der vielen Risikomöglichkeiten…
Beste Grüße nach N.Y.!
Hubsen
Hallo Tim ,
man sollte auf die Alten hören.Kostolanys lehren haben sich wieder mal bewahrheitet:Investiere nicht in einem Land dessen Sprache du nicht beherrscht (du könntest übers Ohr gehauen werden). Auf Seeking Alpha hat ein Typ dessen Name ziemlich Chinesisch klang gewarnt ,mit viel Übersetzung und Sachverstand. Mann hätte Ihm glauben können .Ich fiel auf ZST Digital rein ,kaufte vor ca. ein Jahr . Sie viel mir auf (wie auch so viele andere China-Aktien) durch einem Screening auf Morningstar ,niedriges KGV sehr hohe Rentabilität ,eigentlich zu schön um wahr zu sein .Hätte ja sein können das Institutionelle Anleger kein Interesse hatten ,weil die Gesellschaft zu klein sei.Das man die Webseite nur schwer fand (nicht unter ZST Digital und erst nach längeren suchen)machte mich etwas misstrauisch und kaute deshalb nur sehr wenig um zu kucken was passiert .Jetzt haben wir es Schwarz auf Weiß.
So eine Erfahrung ist ihr Geld wert weil man nur so die ganze Komödie verfolgt und als Akteur intensiver war nimmt ,es darf nur nicht zu teuer werden.
Gruß an Euch alle !
Günther
Hi Matthäus, danke für die Links. Ja, die Menschenrechte werden in China mit den Füssen getreten. Und viele globale Firmen haben sich gleichzeitig in China niedergelassen. Google zog sich wieder zurück… Westliche Manager und Politiker hoffen, dass mit dem wachsenden Wohlstand die Probleme schwinden.
Hi Hubsen, logo. Das Risiko in eine so kleine und ferne Firma zu investieren ist enorm. Das war mir klar. Dass es sich allerdings um einen Betrugsfall handelt, das ahnte ich natürlich nicht. Im Grunde trifft die Wirtschaftsprüfer eine große Mitschuld. Ihr Job ist es nun mal die Bücher zu prüfen. Und sie haben bescheinigt: Alles hat seine Richtigkeit. Das ist ein dicker Hund. Wofür werden die eigentlich bezahlt? Zum Däumchen drehen?
Hi Günther, wie Recht Andre Kostolany hat! Investiere nur in der Sprache, die du sprichst. Kostolany war einer der smartesten Anleger, die wir hatten. Es gibt Untersuchungen, die belegen das. Je ferner ein Fondsmanager investiert (in Bezug auf Arbeits- bzw. Wohnort), desto schlechter ist seine Performance. Ich fühle mich in Deutschland und Nordamerika wohler. China war mir eine Lehre. Kostolany sagt: Die ganze Börse hängt nur davon ab, ob es mehr Aktien gibt als Idioten oder mehr Idioten als Aktien. Beste Grüße und einen guten Start in die nächste Woche an alle…
Guten Morgen:
Auch auf youtube gibt es ein Interiew mit dem legendären André Kostolany: http://www.youtube.com/watch?v=5kH_1xBc2QE&feature=youtube_gdata_player
Wenn man sich das 10-minütige Interview aus dem Jahre 1982 komplett anschaut, dann kommt man aufgrund der Aktualität der dort angesprochenen Themen aus dem Staunen kaum heraus: Gold, Inflation, was passiert mit den Bankengewinnen-und -verlusten, gespickt mit persönlichen Anekdoten des damals 75-jährigen Altmeisters der Spekulation und Philosophen.
Ideal um einen kühlen Kopf zu bewahren! Ich wünsche allen eine erfolgreiche Woche! Matthäus
Hi Matthäus, ja das Kostolany-Video ist echt gut. Daran sieht man mal wieder, die Grundregeln des Investierens ändern sich nie. Alles scheint sich zu wiederholen. Etwa der Goldrausch, die Überschuldung von Staaten und die Abwertung von Währungen … es ist immer das gleiche.