Lieber Leser,
ich möchte mich heute mit den Sorgen und Ängsten der Börsianer beschäftigen. Um Ihnen zu verdeutlichen, wie die Anleger sich derzeit fühlen, lesen Sie die Email unten, die ich gestern erhielt. Es handelt sich zum Glück um ein sehr nettes Schreiben (sonst hätte ich es wohl hier nicht zitiert, lach). Ich habe die Email anonymisiert, um den Namen des Senders geheim zu halten. Auf meinem Foto sehen Sie einen Sonnenuntergang im Hafen vor den Toren Manhattans.
„Hallo Tim,
ich finde deinen Blog spitze! Ich warte jeden Tag gespannt auf einen neuen Eintrag! Vielen Dank für all die nützlichen Informationen!
Wenn es dich nicht stört, würde ich dir gerne eine kurze Frage stellen: Genau wie du setze ich auf solide Titel und wenig Aktivität im Depot.
Unter anderem halte ich Anteile an Walt Disney, Novo Nordisk, Novartis, Adidas, Palmolive, Philip Morris und IBM.
Was mir aufgefallen ist: Diese Titel stiegen in den letzten Jahren (eigentlich seit dem Tiefpunkt der Krise im Jahr 2009) schneller als je zuvor. Noch nie sind diese konservativen Titel so schnell nach oben geschossen. Gerade im letzten Jahr legten sie mächtig zu.
Kannst du dir diese Entwicklung erklären? Ich persönlich erkläre mir das so, dass die Leute seit dem Tiefpunkt der Krise vermehrt auf konservative Titel setzen und spekulative Geschichten meiden. Aber: Siehst du eine Fortsetzung dieser Erfolgsgeschichte? Oder werden auch diese Titel früher oder später wieder einbrechen müssen? Oder hast du möglicherweise auch eine andere Erklärung für diesen Erfolg? Vielen Dank und Freundliche Grüße …“
Was zeigt uns diese Email? Die Anleger machen sich Sorgen. Persönlich mögen Sie, lieber Börsianer, wohl ähnlich denken: „Oje, die Kurse sind in den vergangenen Wochen und Monaten gut gelaufen. Kann das so weiter gehen?“ Die Weltbörsen haben sich in der Tat kräftig erholt. Die Wall Street hat wieder an das Hoch vom 31. Oktober 2007 (vor der Krise) anknüpfen können, wenn Sie die Dividenden einrechnen.
Die Finanzkrise erlebte im März 2009 ihren Höhepunkt. 50 Prozent büßte die Börse seinerzeit vom Top ein. Dieser Pessimismus ist nun gewichen. Die Wall Street hat die Krise abgehakt. Börsianer schauen nach vorne, sie sind optimistische Wesen. Sie sind zuversichtlicher als die Mehrheit der Menschen. Sie haben eben die Gabe, nach vorne zu schauen.
Gleichwohl sind viele Probleme nicht ausgestanden: Die Euro-Krise, die gravierenden Staatsschulden, die hohe Arbeitslosigkeit in Südeuropa und in den USA, die ausgebombten Immobilienmärkten in Nordamerika etc.
Gleichzeitig gibt es Grund zur Hoffnung. Die Volkswirtschaften dürften sich rund um den Globus mittelfristig wohl eher erholen, anstatt weiter abzustürzen.
Ich stelle Ihnen 15 Gründe zusammen, warum Sie Ihre Aktien behalten sollten:
1. Die Masse der Anleger hortet ihr Hab und Gut auf Festgeldkonten, auf Sparbüchern, Girokonten, unterm Kopfkissen. Die Masse hat sich in sichere Staatsanleihen und Gold verliebt. Aktien meiden die meisten, weil sie schlicht Angst haben.
2. Die Konzerne haben ihre Bilanzen gestärkt. Sie kürzten Kosten, bauten Kredite ab, füllten die Kassen auf ein Rekordniveau auf. Denken Sie an die gigantischen Cashbestände von Tech-Firmen wie Apple. Im historischen Vergleich sind die KGVs moderat, die Dividendenrenditen hübsch.
3. Der Aktienmarkt steigt im Schnitt um sieben bis zehn Prozent im langfristigen Schnitt jährlich. Glauben Sie nicht diesen Unsinn, den Experten wie der Anleihe-Trader Bill Gross (Pimco, Allianz) verbreiten. Gross behauptet: „Das Jahrhundert der Aktien ist vorbei“. Wenn jemand wie Gross den Tod der Aktienmärkte verkündet, ist es die beste Zeit einzusteigen. Erinnern sich an die Story in der BusinessWeek im Jahr 1979 mit dem Titel: „The Death of Equities“ – „Der Tod der Aktien“. Das war im Rückblick die beste Zeit für Schnäppchenjäger. Gut möglich, dass das Jahrzehnt der Aktie vor uns steht. Schauen Sie sich nur mal dieses peinliche Twitter-Account der beiden Pimco-Oberen an, das sagt alles. Was musste ich lachen, als ich dieses Twitter-Ding sah. Bill Gross und Mohamed El-Erian scheinen in ihrer eigenen Welt zu leben (so wie ich auch, lach).
4. Die Aktie bietet als Anlage gerade für den „kleinen Mann“ herrliche Renditechancen. Allerdings ist es notwendig, bestimmte Regeln zu befolgen. Kaufen Sie keine Phantasie-Welten wie Facebook oder Groupon, sondern grundsolide Aktiengesellschaften, die seit Jahrzehnten (oder Jahrhunderten) erfolgreich sind und gutes Geld verdienen. Wählen Sie Ihre Aktien nach fundamentalen Gesichtspunkten aus (KGV, Dividendenrendite, Kurs-Buchwert-Vehältnis etc.) und nicht nach Wachstumsphantasien. Sie brauchen nicht in den Emerging Markets shoppen zu gehen, die Risiken sind dort groß. In den westlichen Wohlstandsländern laufen die Aktien besser, die Risiken sind dort geringer.
5. Den perfekten Einstiegszeitpunkt erwischt ohnehin niemand. Jederzeit kann ein Rücksetzer drohen. Korrekturen sind Teil des langfristigen Aufwärtstrends. Wer Geduld hat, erzielt meiner Meinung nach die besten Renditen. Nur so kann der Zinseszins in seiner vollen Kraft wirken (ohne Steuern, ohne Transaktionskosten).
6. Es gibt keine Alternativen zur Aktie. Staatsanleihen und Festgelder rentieren sich nicht wirklich, die Renditen sind in diesem Segment lausig. Ob Gold weiter klettern wird nach einem Jahrzehnt des Dauerbooms, wer weiß das schon?
7. Die Weltbevölkerung wächst stetig. Die Menschen in den Schwellenländern streben nach dem Wohlstandsniveau der westlichen Welt. Dieser Wunsch, konsumieren zu wollen wie der Westen, wird Jahrzehnte lang anhalten. Hinzu kommt der Fortschritt, die Demokratisierung.
8. Wer sich Zeit nimmt, nach den Trüffeln unter den Aktien zu suchen, wird dafür entlohnt. Hohe Dividenden, solide Bilanzen, starke Marken, führende Marktpositionen, niedrige KGVs sind seit jeher ein Indiz für gute Perspektiven.
9. Aufgrund der Rentenlücke bleibt den Arbeitnehmern nur ein Ausweg: Der Aktienmarkt. Alternative Anlageformen wie Lebensversicherungen oder Rentenverträge wie Riester werfen nur mickrige Renditen ab.
10. Wer Geduld hat, sollte sich keine Sorgen machen und kann mit Korrekturen an der Börse gut umgehen. In den vergangenen Wochen und Monaten sind die Aktienmärkte erstaunlich gut gelaufen. Ein möglicher scharfer Rücksetzer bietet sicherlich schöne Nachkauf-Chancen. Verschießen also nicht all Ihr Pulver auf einmal, warten Sie Rückgänge ab.
11. Meistens kommt es anders man denkt. Alle warten derzeit auf eine massive Korrektur an den Weltbörsen. Vielleicht kommt es anders. Auf jede Krise folgt ein Boom (und umgekehrt).
12. Selbst wenn die Börse boomt, muss kein Anleger seine Qualitätsaktien verkaufen. Warren Buffett behält seine Lieblingsaktien über Jahrzehnte hinweg. Buffett lässt im Gegensatz zur Masse seine Gewinne laufen. Privatanleger nehmen zu schnell ihre Gewinne mit. Lassen Sie also die Aktien steigen.
13. Je mehr Zeit Sie sich im Vorfeld bei der Auswahl nehmen, desto mehr werden Sie anschließend entlohnt. Schnellschüsse zahlen sich (leider) selten aus. Das Trading lohnt sich für nur ganz wenige.
14. Wer die Zeit und die Nerven nicht hat, Aktien selbst auszuwählen, der kopiert einfach die Wale, sprich die besten Anleger der Welt. Leute wie Warren Buffett sind verdammt gute Aktienpicker.
15. Bilden Sie die größten Aktienpositionen von Buffett in Ihrem Depot nach. Die meisten haben Angst davor. Es ist ein merkwürdiges Phänomen: Obwohl die Nachkauf-Strategie funktioniert, machen es die wenigsten. Wer das nicht mag, der deckt Sie sich einfach mit Berkshire-Hathaway-Aktien ein. Die Beteiligungsgesellschaft baut ihren inneren Wert (Eigenkapital) seit dem Jahr 1965 im Schnitt um 20 Prozent per annum aus. Was wollen Sie mehr? Man braucht an der Börse kein Genie zu sein. Es genügt, den Genies zu folgen. Über Berkshire Hathaway schrieb ich Ende Juni diesen Artikel. Die Berkshire-Aktie notiert 19 Prozent über dem Eigenkapital. Ich finde: Das ist eine moderate Bewertung angesichts der außerordentlichen Güte des Konzerns. Ein Kursrücksetzer ist natürlich umso besser für Neueinsteiger. Nachteil der Aktie ist: Buffett schüttet keine Dividenden aus, sondern reinvestiert die Gewinne.
Wem die Berkshire-Aktie nicht gefällt, findet in den großen Indizes wie dem DAX, MDAX oder S&P-500 jede Menge exzellente Unternehmen. Ich sehe keine Notwendigkeit, in exotische Märkte zu gehen. Auch würde ich mein Geld nicht in die Hände eines Jungspunds wie Mark Zuckerberg legen – ein erfahrener, alter Manager (am besten Senior) ist mir viel lieber.
Fazit: Keiner weiß, wie es kurzfristig weiter geht an den Weltmärkten. Langfristig wissen wir hingegen, dass der Wohlstand und Fortschritt rund um den Globus zunimmt. Nehmen Sie daran teil. Wenn Sie eine phantastische Aktie seit zehn, 20 oder 30 Jahren halten, warum sollten Sie jetzt aussteigen? Es besteht kein Grund dazu. Langfristanleger brauchen sich nicht zu sorgen. Das ist der große Vorteil am Buy and Hold.
PS: Ich besitze die Berkshire-Aktie leider nicht und habe es bereut. Das Depot meines Lesers (siehe Email oben) scheint von erster Güte zu sein. Gratulation meinerseits!
Hallo Tim,
schöne Übersicht von Gründen, warum Aktien weiter steigen werden.
Zur Zeit gibt es noch einen weiteren Grund und zwar das niedrige Zinsumfeld. In Europa und in den USA sind wir mit dem Leitzins der Notenbanken bereits unweit von 0% und auch in einigen Emerging Markets-Ländern gibt es derzeit eher fallende als steigende Leitzinsen. Natürlich kann es mal Korrekturen geben, aber insgesamt wird die zur Verfügung stehende Liquidität vorerst für ein positives Aktienumfeld sprechen.
VG
Lars
Hallo Tim,
sehr schöne Aufstellung mit gut nachvollziehbaren Argumenten.
Eine Frage die mich schon einige Zeit beschäftigt: Welche Auswirkungen werden steigende Zinsen haben? Kurzfristig sicher unwahrscheinlich, aber mittel-langfristig…?
Immerhin ging der Aufschwung in den letzten Jahrzehnten mit fallenden Zinsen einher.
Steigende Zinsen würden die Gewinne der Unternehmen belasten und alternative Investitionsmöglichkeiten attraktiver machen.
Viele Grüße
7. Die Weltbevölkerung wächst stetig. Die Menschen in den Schwellenländern streben nach dem Wohlstandsniveau der westlichen Welt. Dieser Wunsch, konsumieren zu wollen wie der Westen, wird Jahrzehnte lang anhalten. Hinzu kommt der Fortschritt, die Demokratisierung.
Dieser Punkt ist wohl sehr wichtig. Zusammen mit immer weiteren steigender Effektivität und einem Einfließen von Inflation in die Umsätze und Gewinne können sich langfristig nur steigende Kurse ergeben.
Natürlich gilt dies nur für die absolute Summe aller Aktien (Produktivkapital). Einzelne Werte können natürlich jeder Zeit den Bach runter gehen.
Schöne Auflistung. LG Ulrich
@ mr.lukoil
Grundsätzlich sagt man ja: Steigende Zinsen sind Gift für die Börse (weil es dann mehr alternative Anlagemöglichkeiten gibt).
Aber wie gesagt: Die Börse bietet die beste Renditechance im Schnitt für Ihr Geld. Um ca. 7 bis 10% steigen die Aktien p.a. – da ist auch die Hochzinsphase mit eingerechnet.
Sehe ich grundsätzlich alles genau so.
Aber was ist mit den so genannten Babyboomern? Die werden vielleicht zum Rentenbeginn massenhaft ihre Aktien verkaufen. Darüber gibt es glaub ich auch Studien.
Die Babyboomer könnten lange Jahre einen erheblichen Verkaufsdruck auf Aktien ausüben…
Hallo an alle,
Ihr seid doch alles intelligente Leute. Könnte mir bitte jemand was erklären oder sagen, wo ich das in Deutsch nachlesen könnte?
Ich habe mir mal die Kinder Morgan Aktie (insbes. KMP) nach Lektüre des Blogbeitrages vom 26.8. angesehen.
Dabei fiel mir unter „investor relations“ der Begriff „distribution“ auf. Distribution heißt auf Deutsch Verteilung, das weiß ich. Aber wie wird das hier gehandhabt?
Vielen Dank im voraus
VG
Anna
@Ann: Falls du dich auf die Unterseite „Splits and Distributions“ beziehst, bedeutet dies, dass zu diesem Zeitpunkt zusätzliche Aktien eingebucht bekommst (was bei einem deutschen Depot einige Zeit dauern kann).
Kann man hierbei sehr genau nachvollziehen, da auf der Seite Dividends ( http://www.kindermorgan.com/investor/kmr_dividend_history.cfm ) als Auszahlungsmethode „Stock Dividend“ erscheint.
Aufgepasst! Mir ist es schon einmal passiert, dass mein Broker die zusätzlichen Aktien automatisch verkauft hat und mir gleich Bares gab.
@Stefan: Darüber habe ich auch schon gelesen und das könnte wirklich ein interessanter Punkt sein. Allerdings habe ich keine genaue Vorstellung wie viele Aktien da auf den Markt kommen könnten. Einige US Aktien würden dementsprechen sicher auch zusätzliche Käufer aus dem Ausland finden (sollte es wirklich zu so vielen Verkäufen kommen). Könnte aber durchaus ein Faktor werden.
Ulrich,
danke für die Auskunft.
VG Anna
Danke Ulrich.
@ Stefan
Ich glaube nicht, dass die Babyboomer auf ein Mal all ihr Vermögen umschichten. Und aus den Aktien gehen.
Es gibt ja gleichzeitig die Erben-Generation, die eine unglaubliche Summe erben wird. Und die Erben sind jüngere Menschen in der Regel. Hier wächst also ein neuer Aktieninvestor heran, der noch nicht an der Börse ist.
Nicht zu vergessen sind die ausländischen Investoren. New York ist voll von ihnen. Milliardäre wie Carlos Slim oder Prinz Al-Waleed besitzen jede Menge US-Großkonzerne.
@ Stefan
Darüber würde ich mir keine Sorgen machen, dass die Babyboomer ihre Aktien verkaufen!
Dafür kommen genug Menschen aus Indien, China, Brasilien, Russland (ca. 3 Mrd Menschen!) und andere Schwellenländer.
Diese haben den Luxus dank gestiegenem Wohlstand sich gedanken um ihre Altersvorsorge zu machen, hier werden sicherlich auch westliche Aktien gekauft.
Somit sorgen quasi die Schwellenländer für den Ruhestand der Babyboomer der Industrienationen.
@Anna: Habe mir den Kinder Morgan Anteilsschein nochmal genauer angesehen. Langfristig sehr interessant, super Geschäftsfeld und gutes Management ( http://www.valueblog.de/?p=1815 ).