An der Wall Street sind ehrliche Einschätzungen eine Seltenheit. 90 Prozent der Research-Berichte werden entweder mit dem Urteil „Kaufen“, „Übergewichten“ oder “Halten“ geschmückt. Kaum ein Banker rät, ein Wertpapier zu verkaufen.
Woran liegt das? Die Banken sind auf Gebühren angewiesen, darauf basiert das Geschäftsmodell. Sie wollen es sich mit ihren (potentiellen) Kunden nicht verscherzen. Sie möchten Kapitalerhöhungen, Börsengänge, Finanzierungen stemmen. Es geht darum, viel Geld zu verdienen. Je mehr, desto besser. Da will man mit niemanden in Streit geraten. Die Analysten schmieren also lieber den Firmen Honig ums Maul – anstatt kritisch ans Werk zu gehen.
Eigentlich sollte man glauben, dass das Interesse des Bankkunden im Mittelpunkt steht. So wie es sich eigentlich gehört. Sprich der Empfänger der Researchberichte, der für die Studien direkt oder indirekt bezahlt, sollte fair informiert werden. Mitnichten!
Ich traf kürzlich zwei mutige Analysten in New York auf einer Veranstaltung. Beide haben mich beeindruckt: David Maris und Mike Mayo. Sie haben einen großen Erfahrungsschatz, sind seit zig Jahren als Analysten tätig. Sie entwickelten eine besonders kritische Haltung gegenüber Firmen, die sie coverten. Mit der Folge: Etliche Aktien stellten sie zum Verkauf. Und mussten sich dann neue Jobs suchen.
David Maris arbeitete als Pharma-Analyst für die Bank of America. Sein Ziel war es immer fair zu sein. Das war sein ethisches Selbstverständnis. Nachdem er das Pharmaunternehmen Biovail wegen einer dubiosen Kommunikationspolitik öffentlich kritisiert und zum Verkauf gestellt hatte, verlor er seinen Job. Dabei lag Maris mit seinen Warnungen goldrichtig: Die Führungsspitze des kanadischen Unternehmens bestrafte die amerikanische Börsenaufsicht SEC Jahre später wegen Betrugs. Maris wurde als kritischer Analyst auch unter psychischen Druck gesetzt: Wenn er morgens das Haus verlies und abends nach Hause kam, konnte er jedes Mal zwei Personen in einem Auto beobachten, die ihn observierten. Sie taten es auffällig. Die beiden Männer wirkten bedrohlich auf den Banker. Die Observation fand praktisch vor seiner Haustüre statt. Der Analyst bekam es mit der Angst zu tun. Verprügeln ihn die Männer, sorgte er sich. Er bekam Albträume, seine Familie bekam es mit der Angst zu tun. Maris vermutet im Rückblick, dass Biovail die zwei Herren auf ihn angesetzt hatte. Beweisen kann er es indes nicht. Verprügelt oder angegriffen wurde der Analyst zum Glück nicht. Aber der Druck, der auf ihm lastete, das ist nicht „fair Play“.
Ein ähnlicher Kämpfer ist Analyst Mike Mayo. Der Mann geht einer Berufung nach. Er besteht auf seine Unabhängigkeit. Er lässt sich auf keinen bankinternen Kuhhandel ein. Kein Wunder, dass er in seiner Karriere auf Widerstand stieß. Mayo hat sich auf den Bankensektor spezialisiert. Als er mehr und mehr Banken zum Verkauf stellte, bekam er natürlich Ärger. Auf seiner Verkaufsliste stand unter anderem JPMorgan Chase. Er wurde daraufhin von dem einflussreichen JPMorgan-Chase-Chef Jamie Dimon mehrfach öffentlich angegriffen. Dimon machte sich über ihn vor allen Anwesenden auf einer Analystenkonferenz lustig. Mayo beschwerte sich über das Verhalten des JPMorgan-Chefs.
Warum kann Dimon nicht einfach sein Verkaufsvotum akzeptieren, fragte sich der Analyst. Die Medien griffen schnell das Thema auf. Zwar entschuldigte sich Dimon später bei ihm. Doch am Ende half das dem Analysten nicht weiter. Mayo musste sich irgendwann einen neuen Job suchen. Bei einigen Banken steht er offenbar noch immer auf der roten Liste.
Beide Rebellen fanden bei der Tochter der französischen Credit Agricole Securities, CLSA, Unterschlupf. Dort sind kritische Analysten willkommen.
Investigative Analysten sind in der Branche nicht gefragt. Das ist vermutlich überall das gleiche. Ob in New York oder Frankfurt, ob in London oder Tokio.
Übrigens hat der US-Senat Fälle aufgerollt, die unfassbar sind. Erstaunt war ich zum Beispiel über die Deutsche Bank. Dort hatten intern wichtige Mitarbeiter in New York Papiere als „Dreck“ und „Schweinekram“ bezeichnet und sie dann munter an ihre Kunden verkauft. Solche Senatsberichte lese ich immer gerne durch. Denn Sie erfahren darin sehr viel Details. Manchmal mache ich mich auf den Weg ins Gericht. Hier im Finanzviertel. Dort stöbere ich dann durch die neuesten Dokumente. Was ich da als lesen muss, ist der helle Wahnsinn. Das geht auf keine Kuhhaut.
Fauler Kuhhandel mit Analysten-Studien
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Damit bestätigt sich also wieder das, was man eigentlich sowieso schon vermutet hatte.
Eigentlich auch logisch, warum sollten sinnvolle Analysen kostenlos herausgegeben werden?
Es bleibt also dabei, wer am Aktienmarkt investieren will, sollte sich selbst damit auseinandersezten. Und das wird wohl auch für immer so bleiben…
Respekt den beiden Analysten, die da nicht mitmachen wollten und damit einiges aufs Spiel gesetzt haben!
Hallo Tim,
auf Analysten höre ich schon lange nicht mehr. Als Aktien-Einsteiger liest man sehr gerne die einschlägigen Magazine. Schon beim lesen bekommt man Angst etwas verpasst oder irgendeinen Trend nicht mitnehmen zu können. Es gibt nämlich so unendlich viele, so wird es zumindest suggeriert. Nur Chancen. Alles von 20 Analysten bestätigt. Mit Garantie. Und ein tolles Zertifikat gibt es auch noch dazu. Völlig risikolos. Und das in einer Ausgabe.
Wo das alles hinführt sieht man auf der Website von „Der Aktionär“. Wenn ich alle Empfehlungen des Musterdepots gefolgt wäre (leider hatte ich ein paar Positionen), würden die Weihnachtsgeschenke dieses Jahr deutlich kleiner ausfallen.
http://www.deraktionaer.de/xist4c/web/Online-Real-Depot_id_2882_.htm
Die Redakteure folgen auch in diesem Fall jeder positiven Analystenstimme oder den Marketingveranstaltungen der CEOs (Paion). Dies kann man zumindestens den Kommentaren zu den jeweiligen Positionen entnehmen.
Analysten haben im Ende Juli mehrheitlich PepsiCo zum Verkauf gestellt. Vor dem Crash im August. Seitdem 15% Plus. Lufthansa vor 8 Tagen ein absoluter Verkauf. Gewissermaßen Ramschstatus. 12% Plus. Die Commerzbank ist schon seit 1 Jahr ein Kauf. Egal ob bei 5 Euro, 4 Euro, 2 Euro oder 1,20 Euro…
Manchmal bin ich mir nicht sicher weshalb wir Analysten brauchen. Das sind doch nur Ein-Mann-Rating-Agenturen. Und was wir von den Ratingagenturen halten können wissen wir ja mittlerweile…
Tim for president!!
Gruss
Lennox
@ Lennox
@ Stefan
Danke für die Kommentare. Super! Ich bin immer interessiert zu erfahren, was die Leser meines Blogs denken.
Meine Vermutung ist: Die Research-Studien sagen uns leider nicht die ehrliche Meinung des Analysten. Wie kann es sonst sein, dass es so gut wie keine „Verkaufs-Empfehlungen“ gibt?
Es wäre Aufgabe des Regulierers hier einzugreifen. Die schauen mal wieder weg, wie so oft. Grundproblem ist bei der Aufsicht, dass die Behörde aus den Umlagen der Banken finanziert wird. Die kritische Distanz fehlt also. Es ist ein Konstruktionsfehler! Wie bei den Ratingagenturen.
In den USA nutzen einige SEC-Beamte die Behörde lediglich als Sprungbrett. Irgendwann arbeiten sie für Anwaltskanzleien oder für die Firmen, die sie vorher beaufsichtigt haben. Für mehr Kohle versteht sich.
Hier ist ein Artikel aus der New York Times, der sich kritisch mit den Jubel-Studien beschäftigt.
Beste Grüße
Tim
Wer wird oder sind Analysten? In 90% der Fälle Studienabgänger, frisch ab der Uni gehen die Herren zu Banken, werden in einem Crashkurs zu sogenannten Analysten ausgebildet. Wohlverstanden, sie haben noch nie in einer Firma gearbeiten, Bilanzen kennen sie nur von der Schule und von den Firmen, die sie analysieren haben sie meißt NULL Ahnung, kennen ihr Business nicht und wissen auch nicht, was sie vorhaben.
Nun, jetzt kommt vom Boss die Anweisung, schreib mal eine Analyse und Empfehlung über Firma XY. Was macht der Analyst? Er sucht mal alle anderen Anaylsen, findet sie natürlich auch hier. Er schreibt davon 90% ab, ändert 2 Worte und ändert noch die Kursempfehlung um einige Euros. Fertig ist die Analyse.
Die wird sofort veröffentlich, die Anleger bekommen einen Schrecken und verkaufen wie wild.
Hi gennaro,
ja das stimmt. Diese jungen Analysten sind im Grunde genommen Teppichverkäufer. Die sollen nämlich Teppiche (Deals) verkaufen. Daher werden die Studien immer super schön geschrieben. Alles nett, alles toll. Vielleicht fällt ja mal ein Deal ab (Übernahme, Fusion, Kapitalerhöhung, IPO, Finanzierung etc.).
Die Investment-Banker schleppen nach einer Reihe von schönen Studien gerne Übernahmekandidaten für das Unternehmen an. Erst loben, dann kassieren.
Die eine Hand wäscht die andere. So funktioniert das an der Wall Street. Zuletzt kommt der Kunde in dieser Kette der Interessen. Das ist jedenfalls mein Eindruck…
@ Lennox: Ich muss hier jetzt mal das Magazin „DER AKTIONÄR“ verteidigen.
Wie soll denn selbst ein gutes Musterportfolio positiv abschneiden, wenn der gesamte Markt kollabiert? Einen Vollkaskoschutz vor einem Crash gibt es leider nicht. Wer an der Börse sein Geld anlegt, muss wissen, dass es Durststrecken geben kann.
Auch Super-Stars wie Buffett oder Soros verlieren streckenweise Geld. Der Unterschied ist: Sie lassen sich von den Verlusten nicht verrückt machen und bleiben langfristig am Ball.