Die größte amerikanische Bank, gerechnet nach der Zahl der Einlagen, Bank of America, übernimmt die New Yorker Investmentbank Merrill Lynch. Das berichtet das Wall Street Journal. Angeblich soll Bank of America 29 Dollar pro Aktie beziehungsweise 44 Milliarden Dollar bieten. Mir erscheint das ziemlich hoch. Noch am Freitag notierte Merrill Lynch bei 17,05 Dollar, insofern zahlt Bank of America 70 Prozent mehr. Merrill Lynch kam wie fast alle Wall-Street-Häuser im Zuge der Immobilienkrise und den damit verbundenen Kreditausfällen in Turbulenzen. Vier Quartale in Folge meldete Merrill Lynch tiefrote Zahlen. Milliarden von Dollar musste das Haus wegen fauler Kredite abschreiben. In der Folge stürzte die Aktie wie ein Stein. Noch im Mai notierte der Kurs bei rund 50 Dollar, seither verlor der Titel rund 65 Prozent. Im Grunde genommen handelt Bank of America-Chef Ken Lewis clever. Sein Deal ist ein schöner antizyklischer Schachzug. Während Anleger rund um den Globus ihre Finanzaktien panikartig auf den Markt werfen, greift der Manager zu. Der Kurs von Merrill Lynch ist tief im Keller. Auf lange Sicht sollte sich das auszahlen. Merrill Lynch hatte im Juli ihren Anteil an dem Medienkonzern Bloomberg für 4,4 Milliarden Dollar verkauft. Ebenfalls sammelte die Investmentbank via Kapitalerhöhung (Ausgabe neuer Aktien) 8,5 Milliarden Dollar ein. Das Geld war bitter nötig, um Löcher zu stopfen, die durch die Abschreibung fauler Kredite entstanden waren.
Die Wall Street schlachtete besonders in der vergangenen Woche regelrecht Finanzwerte. Die Sorge ist groß, dass nach Bear Stearns weitere Häuser in eine Schieflage geraten können. Merrill Lynch wurde 1820 gegründet, an Bord sind über 60.000 Mitarbeiter.
Kommt der Deal in trockene Tücher, dürften viele ihren Job verlieren. Bei Übernahmen geht es darum, Synergien auszuschöpfen. Die wohl höchsten Einsparungen lassen sich in diesem Fall durch den Abbau von Personal erreichen. Bank of America attackiert mit der Akquisition den Rivalen Citigroup. Mit Merrill-Chef John Thain lief ich übrigens im Mai einen Wettlauf der New York Road Runners im Finanzviertel Manhattans (lesen Sie hier nach in meinem Blog vom 21. Mai).
Als Pleitekandidat wird nach wie vor Lehman Brothers gehandelt. Die Aktie verlor diese Woche 77 Prozent an Wert. Bank of America galt bislang neben Barclays als Kaufinteressent von Lehman. Doch dies scheint nicht mehr der Fall zu sein. Eine schnelle Lösung für Lehman ist nicht in Sicht. Es kann im schlimmsten Fall sein, dass Lehman Gläubigerschutz beantragen muss. Ich war in den vergangenen Tagen des Öfteren auf Investmentkonferenzen in der Nähe des Stammsitzes von Lehman Brothers. Viele Touristen sehen sich die Zentrale in diesen Tagen an, der auffällige Wolkenkratzer ist eine Attraktion geworden. Am Sonntag trugen etliche Beschäftigte an der 7th Avenue, Ecke 50. Straße ihre persönlichen Habseligkeiten in Kisten verpackt zu ihren Autos. Warum? Im Falle einer Pleite oder Übernahme erfahren die Beschäftigten oft ohne Vorwarnung, dass sie ihren Arbeitsplatz am selben Tag umgehend räumen müssen.
Hi Tim,
traurig aber wahr. In Amerika läuft vieles anders, als in Europa.
Hire and fire.
VG
der Michael (Bergkamen)