Wulff-Affäre: In den USA herrscht mehr Transparenz

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Im Dezember schaute ich mir eine Präsentation der „New York Times“ an. Vorstandschefin Janet Robinson hatte beeindruckend schöne Zahlen aufbereitet – für einige Investoren. Die 61-jährige erläuterte stolz, wie viele Leser schon ein Online-Abo abgeschlossen haben. Und dass so viel Geld auf einmal im Netz verdient wird. Ihr Motto war: Alles wird durch das Internet besser.
Sie müssen wissen, das links-liberale Blatt leidet seit Jahren unter einer stark sinkenden Auflage. Hinzu kommt: Anzeigen brechen weg. Der Turnaround fällt dem Zeitungshaus logischerweise schwer. Wertvolle Assets und Töchter musste Robinson in der Krise reihenweise verkloppen, um die Zeitung vor dem Kollaps zu bewahren. Die Wende ist durchaus möglich. Ganz abschreiben würde ich das Traditionsunternehmen nicht. Nun hat Verleger Arthur Sulzberger seine Vorstandschefin aber vor die Türe gesetzt, obgleich sie seit Jahrzehnten an Bord ist. Einen Berater-Vertrag erhielt Robinson. Der Consulting-Deal war wohl ein „kleines Dankeschön” für ihre Verbundenheit zum Verlag über all die Jahre.
Warum sie die Kündigung erhielt? Keiner weiß das so recht. Die gesamte Vorstandstruppe geriet in die Schusslinie, weil am Personal und an den Versorgungsbezügen der Redakteure Kürzungen vorgenommen worden sind, während die Führungsriege abkassierte, als wäre alles in bester Ordnung. Sulzberger streicht jährlich 3,7 Millionen Dollar ein. Obendrauf gibts einen Bonus von fast 300.000 Dollar. Das ist nicht von schlechten Eltern, wenn zur gleichen Zeit zig Redakteure gefeuert werden. Wenigstens herrscht Klarheit darüber, wie viel Geld die einzelnen Manager erhalten. Und das ist gut so. Anhand der “New York Times” möchte ich schildern, wie viel Transparenz in der Millionenmetropole herrscht. Unglaublich viele Informationen sind öffentlich.
Ich lese die „New York Times“ sehr gerne. Ich finde den persönlichen Schreibstil der Redakteure (Ich-Form) wirklich interessant. Sie schreiben bunt über das, was sie erleben. Dagegen ist mir der Stil des „Wall Street Journal“ zu nüchtern, ein wenig zu trocken. Wobei Rupert Murdochs “Journal” natürlich sehr viele Fakten verarbeitet, was seine Vorzüge hat gegenüber dem Reportagen-Stil der Times. Es ist letztendlich Geschmackssache, was man lesen mag.
Mir fiel in den vergangenen Monaten auf, dass die New York Times immer mehr Klatsch und Tratsch bringt. Vielleicht hilft das der Auflage. Keine Ahnung. So schlüsselte die Zeitung genüsslich einiges Privates über Bürgermeister Michael Bloomberg und Gouverneur Andrew Cuomo auf. Es ging um die Hobbys der beiden. Die bevorzugten Urlaubsziele, Familienverhältnisse inklusive der Freundinnen.
Noch erstaunlicher fand ich einen Artikel des Times-Kollegen Joseph Berger. Der drehte praktisch jeden Stein um. Es ging um das Privathaus des New Yorker Gouverneurs: Was sagen die Nachbarn über Andrew Cuomo? Wie wird der Vorgarten geschmückt? Wer holt die Kinder des Promi-Paares ab? Was kostet das Nachbarhaus? Wo geht Cuomo mit seiner Freundin Sandra Lee und den Kindern gerne frühstücken? Wirklich komisch! Von Privatsphäre keine Spur.
In den USA ist viel mehr publik, als wir Deutsche uns vorstellen können. Die Amerikaner wollen mit der erzwungenen Transparenz die Korruption bekämpfen. So wird zum Beispiel veröffentlicht, wenn Sie in New York eine Immobilie kaufen und was Sie für das Objekt bezahlt haben. Es erscheint also in öffentlich zugänglichen Dokumenten, wer welches Objekt wann zu welchem Preis (und mit welcher Art von Hypothek) von wem erwarb. Auf der städtischen Website ACRIS können Sie Promi-Wohnungen von Michael Bloomberg, George Soros und anderen aufrufen. Sie können einfach per Namen suchen. Sogar Anrufe bei der Polizei (Notfall) werden alle veröffentlicht.
Die Affäre um unseren Bundespräsidenten Christian Wulff hätte hier erst gar nicht entstehen können. Von der ersten Stunde an wäre für Transparenz gesorgt gewesen, wenn Wulff die Regeln über dem großen Teich befolgt hätte.
Sie können, wenn Sie Mieter sind, bei der Stadtverwaltung in New York City nachfragen, was all ihre Vormieter an den Eigentümer monatlich bezahlen mussten. Sie wissen also, dass Sie nicht abgezockt werden können. Jede Mieterhöhung ist fein säuberlich über Jahrzehnte hinweg bis zum letzten Cent aufgeschlüsselt – mitsamt den Namen der Mieter und Vermieter.
Das Gehalt der Mitarbeiter der Öffentlichen Hand, einschließlich der Bediensteten des Rathauses, sind im Internet abrufbar. Wenn jemand ein Verbrechen begangen hat, wird das im Web publiziert, so dass die Nachbarn „vorgewarnt“ sind. Oder lesen Sie mal diesen Artikel über den New Yorker Milliardär Ronald Lauder. All seine steuerlichen Privat-Geschäfte sind hier auf zwei Zeitungsseiten aufgedröselt. Ich gebe zu, es geht hin und wieder zu weit mit der Transparenz.
Wenn Sie einen Steuerbetrüger an die Behörden verpfeifen und die Ermittler entdecken in der Tat den Betrug, erhalten Sie einen Erfolgs-Anteil an den Mehreinnahmen des Staates – als Dankeschön fürs Petzen sozusagen. Kommt es unter Freunden zu einem Streit, können Sie sich sicherlich vorstellen, dass schmutzige Wäsche gewaschen wird. Die Steuerbehörden freut das natürlich.
Regelrecht medial ausgeschlachtet wurde die Affäre des ehemaligen Chefs von Hewlett Packard mit einer jungen Mitarbeiterin: „…once put his arms around her and quickly kissed her…“ Müssen wir diese Details wissen?
Den Gipfel fand ich diesen krassen Artikel der New York Times: Es geht um Anthony Weiner, einen Kongress-Abgeordneten, der schlüpfrige Fotos an Internet-Bekanntschaften per Twitter verschickt hatte und nach dem Bekanntwerden des Skandals zurücktrat. Die Times hatte nach seinem Rücktritt ein Bewegungsprofil des Politikers erstellt: Wo geht er mittags essen? Wo und wann ist er im Fitnessstudio? Wo und mit wem zum Dinner? Als ich das las, dachte ich, da hätte wohl unser Christian Wulff ein Problem. All die reichen Kumpels, all die tollen kostenlosen Privaturlaube zeitgleich in der Zeitung…
Warum Kanzlerin Angela Merkel ihren Parteifreund Wulff unentwegt unterstützt, leuchtet mir jetzt ein. Sie schweigt ja in ihren eigenen Angelegenheiten wie ein Grab. So wenig Licht wie nur möglich möchte die Berliner Regierungschefin zulassen. Möchte Merkel etwas verheimlichen? Einen Blick in ihren Terminkalender lehnte sie strikt ab, obwohl es merkwürdige Vorwürfe gab. Per Gerichtsbeschluss mussten schon Auskünfte von Merkel eingeholt werden.
Etwas mehr Sonnenlicht kann nie schaden, Frau Merkel, Herr Wulff! Klar könnte das unangenehm werden. Muss aber nicht.
PS: Mein Foto zeigt den Haupteingang zum Verlagshaus der “New York Times”. Ein schöner neuer Glaspalast. Auch dieses Hauptgebäude musste die Zeitung verkaufen, um an Cash zu kommen.

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12 Jahre zuvor

In meinen Augen ist der laxe Umgang mit der Privatsphäre anderer Menschen mehr als bedenklich.

Ich möchte vieles einfach nicht wissen, weil es außerhalb meines subjektiven Relevanzkorridors ist.

Das mit der Miet-Transparenz finde ich eine gute Sache, jedoch ist zu viel Bürokratie schlecht…

Viele Grüße, Christian

12 Jahre zuvor

Danke Christian für den Kommentar!

Ich finde auch, dass manchmal zu viel im Privatbereich herumgewühlt wird. Das ist der Preis, den die Promis eben zahlen müssen. Verhindern lässt sich das wohl nie komplett… VG Tim

Presto
12 Jahre zuvor

Ja, vielen Dank an Ihre aufschlüssigen Infos zum Thema Transparenz und “Mieterdaten”.

Ich möchte trotz Allem nicht mit den Amerikanern tauschen, da ich auch deren Innen- wie Aussenpolitik nicht ganz akzeptieren kann und ein Problem mit deren Datenschutz habe ( facebook zum Beispiel ).

Ich halte Geld und Aktien nicht unbedingt für überlebensfähig, eher Solidarität und Respekt, woran es zumindest in der westlich geprägten Politik hapert. Aber das ist mur meine persönliche Meinung.

Beste Grüße aus Deutschland in die USA

12 Jahre zuvor

@ Presto

Danke für Ihren kritischen Kommentar. Sie haben gute Argumente. Ich stimme Ihnen teilweise durchaus zu.

Ich glorifiziere das amerikanische System nicht. Ich möchte in diesem Blog nur die Vor- und Nachteile aufzeigen. Transparenz ist grundsätzlich gut, nur muss in der Tat irgendwo eine Grenze gezogen werden.

Die Bewertung, welches System das bessere ist, sollen sich meine Blog-Leser machen. Es gibt leider kein ideales System.

12 Jahre zuvor

Wenn ich das richtig sehe, dann war Wullf also das Opfer fehlender Transparenzvorschriften.

Jetzt wird es allem Anschein nach also Joachim Gauck. Weil die FDP ihn haben wollte, um den Favoriten der Kanzlerin, den studierten Volkswirten und Ex-UN-Umwelt-Direktor Töpfer zu verhindern. Dieser hätte für eine Öffnung der CDU hin zu den Grünen gestanden. Die FDP unter Rösler pokerte hoch und gewann.

Die Eiserne Kanzlerin Angela Merkel jedoch wurde sauer (was man selten erlebt). Sie wollte einen Mann für die Zukunft (Energiewende) und bekam einen Mann der Vergangenheit (DDR-Bürgerrechtler und Ex-Stasi-Unterlagenbehörden-Leiter).

Kann sein, dass der Ton zwischen den Koalitionären jetzt ein wenig rauher wird.

12 Jahre zuvor

@ Matthäus, ach so schlecht finde ich den Gauck gar nicht.

Mal sehen, was kommt. Das Amt ist doch eh nur repräsentativ. Eigentlich sollten wir Deutschen diesen Firlefanz ganz streichen. Brauchen wir ein Schloss Bellevue? Was kostet uns der ganze Spass? Ist doch alles nur Schau. Für nix. Es gibt so viel unnötiges Zeug, das gehört echt abgeschafft. Was meinst Du?

12 Jahre zuvor

Man könnte das Amt wirklich abschaffen.
1. Die formelle und materielle Prüfungspflicht von Gesetzen, die in Teilen der Rechtswissenschaft diskutiert wird, ist beim Bundesverfassungsgericht ohnehin viel besser aufgehoben.
2. Representative Funktionen könnten auf den Bundesrats- und den Bundestagspräsidenten verteilt werden. Diese können die Gesetze auch unterschreiben, je nachdem wo der Auswirkungsschwerpunkt des Gesetzes ist (Länder und Bund), der BT- oder BR-Präsident.
3. Das parlamentarische System mit checks and balances zwischen BT+BR auf Parlamentsebene, der BReg auf Exekutivebene und dem BVerfG auf judikativer Ebene funktioniert ohne den BP bereits jetzt hervorragend. Deutschland ist eine der stabilsten Demokratien der Welt.
4. Auf Schloss Bellevue könnte man einen karitativen Kindergarten oder eine Behindertenstätte einrichten.

12 Jahre zuvor

Hi Matthäus,

interessanter Artikel. Wie viel Weimar? Wie viel König-Gehabe brauchen wir in Dtld? Das kostet alles unendlich viel Geld – das Geld des Steuerzahlers. Und bringt ja wirklich wenig.

Es ist irgendwie ein Amt ohne Würze, ohne ernsthafter Arbeit.

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